Donnerstag, 5. März 2020

Das Haus zu den fünf Morden (Herrengasse 17, 1010 Wien)

Herrengasse 17
Wer die Herrengasse entlang spaziert, vorbei an Palais, Museen und Ministerien, der trifft früher oder später auf das Cafe Central. Frei nach Alfred Polgar repräsentiert das Central genau jenen Platz, an dem der gelernte Misanthrop das alleine sein zusammen mit Anderen vortrefflich zu zelebrieren versteht. Und wer als Wien-Besucher einen Ort erleben möchte, an dem Trotzki, Freud und Kafka sich schon wohl fühlten, der kaufe sich im Cafe Central eine Melange.
Die Mischung aus Kultur und Kulinarik ist in der Herrengasse Numero 14 so überaus gelungen, dass man sich beim Genuss eines Apfelstrudels, einer Cremeschnitte oder gar einer Central Surprise in keiner Weise vorzustellen vermag, dass hier in unmittelbarer Nähe Dinge geschahen, welche über den Verstand jedes normal denkenden Menschen weit hinausgehen.
Vor fünfhundertzwanzig Jahren, genau im Jahr 1500, gab es naturgemäß noch kein Cafe Central und auch das Palais Ferstel, welches selbiges bis heute beherbergt, war noch lange nicht gebaut. Die Herrengasse hieß noch Hochstraße und nur langsam wuchsen die Domizile des Adels über die bürgerlichen Dächer empor.
An der Stelle der späteren Hausnummer 17 werkte damals Leonhart Reisner in seiner Backstube, unterstützt von einem Gesellen und seiner Frau Elsbeth. Reisner mochte nicht die größte Bäckerei in Wien betrieben haben, doch er führte seine Arbeit mit einer gewissen Passion aus, galt als ehrbar und legte Geld für seine sich stetig vergrößernde Familie zurück. Denn neben der siebenjährigen Tochter hatte es im September 1500 Anzeichen dafür gegeben, dass Elsbeth sich wieder in anderen Umständen befand. Reisner, der auf einen Sohn hoffte, war im Glück.
Mit dem Bäckergesellen Bartholomäus aus Regensburg betrat eine weitere, äußerst tragische Figur die Bühne dieses makaberen Schauspiels. Der Nachname des jungen Mannes ist nicht mehr zu eruieren, Barthl, wie er von der Tochter des Hausherren liebevoll genannt wurde, war auf der Walz, und plante offenkundig nicht, dauerhaft in Wien zu bleiben. Die Lehrzeit bei Bäckermeister Reisner reichte allerding aus, ihn die Gewohnheiten der Gastfamilie studieren zu lassen, und deren private Lebensbereiche auszuspionieren.
Ausschlaggebend für einen der brutalsten Raubmorde in der Geschichte Wiens dürfte eine Kassette mit Silbermünzen gewesen sein, die der Meister hinter dem Ofen in der Backstube verbarg, und unvorsichtiger Weise in Gegenwart des Gesellen öffnete.
Niemand rechnete damit, dass der Barthl einige Tage nach seiner offiziellen Verabschiedung zurückkehren könnte, in der Nacht, durch das Fenster in der Dachkammer. Bartholomäus war sich durch Ausflüge, die er immer wieder zu nachtschlafender Zeit heimlich in die Schenken Wiens unternommen hatte, seines Weges wohl bewusst, er kannte die Schlafräume der Hausbewohner, und hatte einen gut durchdachten Plan. Zuerst schlug der dem schlafenden Bäckergesellen, der sein Lager direkt unter dem Dach hatte, den Schädel ein. Dann schlich er die Treppe hinab, hörte im ersten Stock den Meister erwachen, wartete, bis dieser sich in den Flur begab, und versetzte dem überraschten Mann so heftige Schläge, dass man die weiß getünchte Wand am nächsten Tag voll von Blut fand. Elsbeth, durch ein dumpfes Rumoren geweckt, begab sich nun ebenfalls in den dunklen Flur, bis sich im Schein der Kerze die Konturen eines Mannes aus der Finsternis lösten, der nicht der ihre war. Man fand sie neben ihrem Gatten liegend, mit zertrümmertem Gesicht. Barthl schlich die Stiegen hinab, Richtung Backstube, immer das Ziel vor Augen. Wäre die Magd, deren Bettstatt sich in einem kleinen Zimmer neben den Arbeitsräumen befand, nicht aufgewacht, sie hätte vielleicht überlebt. So aber brachte er die Frau ganz in der Nähe des Ofens um, hinter dem sich die begehrte Schatulle mit den Silberlingen verbarg. Als er schließlich in Händen hielt, wonach ihm so sehr verlangte, nun bereit, es endlich sein zu lassen, da stand das Kind vor ihm, durch die Schreie der sterbenden Magd geweckt. Das Mädchen hatte die Leichen der Eltern gesehen, und drückte sich in einem ersten Impuls völlig verängstigt an Batholomäus, der noch vor wenigen Tagen eine Holzpuppe für sie geschnitzt hatte.
Pfählung des Bartholomäus
Später, nach einer misslungenen Flucht, gestand der Bäckergeselle unter Anwendung der Folter, dass die Siebenjährige ihm unter Tränen gar die Puppe zurückgeben hätte wollen, wenn er nicht...

Familie Reisner wurde ausgelöscht. Das Haus ging schon kurze Zeit später an einen anderen Bäckermeister, und blieb bis 1670 im Dienste dieses Handwerks bestehen. Erst danach kam es zu umfangreichen Umbauarbeiten, die mit dem Erwerb des Besitzes durch den Grafen Harrach einsetzten. Ein Namensschild, welches das Gebäude als das “Haus der fünf Morde” auswies, verschwand ebenfalls im Jahre 1670.
Der Fall Reisner grub sich nicht nur wegen der Brutalität des Täters ins kollektive Gedächtnis Wiens ein, sondern auch aufgrund der Barbarei, mit der man von Seiten der Justiz auf das Verbrechen zu antworten versuchte.

Um den Mord an der Familie nach allen Regeln der Kunst zu sühnen, entwickelte der verantwortliche Stadtrichter Laurenz Hutendorfer ein gewisses Maß an Kreativität. Bartholomäus, dem die Folter schon sichtbar zugesetzt hatte, sollte auf seinem letzten Weg mit glühenden Zangen gezwickt werden. Außerdem schnitt man ihm bei jeder Station ein paar Finger ab, bis von seinen Händen nur noch blutige Stümpfe blieben.
Für die Hinrichtung selbst, die auf der berüchtigten Gänseweid stattfand, bediente man sich einer archaischen Methode, welche im Jahre 1501 zumindest in Wien nicht mehr üblich war, und den Henker vor gewisse Probleme stellte. Der Raubmörder aus der Herrengasse, so wollte es das Gericht, musste gepfählt werden. Die Technik bestand im Wesentlichen darin, einen mehr oder weniger zugespitzten Holzpflock, der mit Fett eingerieben worden war, in den Anus des liegenden oder knienden Verurteilten zu treiben. Danach wurde der Pflock aufgerichtet und das Opfer mit einem heftigen Ruck (um die Sache zu beschleunigen) nach unten gezogen, so dass der Pfahl durch den Körper ging, im besten Fall das Herz durchbohrte, und im Bereich der linken Schulter wieder austrat. Wie immer bei derartigen Torturen, gab es auch bei dieser Art der Exekution diverse Variationen, durch welche die Qualen des Verurteilten künstlich in die Länge gezogen werden konnten. Im Falle des Bartholomäus aus Regensburg soll das Sterben an die fünf Stunden gedauert haben, nicht zuletzt deshalb, weil der Henker zweimal ansetzen musste, bis das Holz seinen Weg durch das Fleisch fand.

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