Sonntag, 8. März 2020


Theresia Kandl - Die schönste Mörderin von Wien

Die Kandlkapelle
Von den meisten Verbrechern der guten alten Zeit hat sich kaum mehr erhalten als ein Mythos, Geschichten, die von späteren Generationen immer wieder auf- und umgeschrieben wurden. Im Fall der Theresia Kandl ist das anders. Man kann durchaus sagen, dass nicht nur das Kandlersche Verbrechen die Zeiten in diversen Überlieferungen überdauerte, sondern auch die Kandlin selbst, ausgestellt in einem großen Schaukasten, der immer noch in Wien existiert. Die schöne Resi brachte es durch ihre Untat als erste Frau in Wien bis an den Galgen, und bescherte den Wienern durch ihre Hinrichtung ein Volksfest sondergleichen, welches mit “Galgenbier” und “Arme Sünder Würstel” feucht - fröhlich begangen wurde.


Gerade einmal dreiundzwanzig Jahre jung, zeigte die Resi durchaus Lebensfreude, verbunden mit einer zunehmenden Antipathie gegen ihren, um viele Jahre älteren Gatten Matthias, der von Spaß und Lebenslust nichts wissen wollte. Später führte Therese das Unvermögen des alten Kandl, Kinder in die Welt zu setzen, als einen der Gründe für den Mord an, Geiz und vor allem die Rohheiten, welche der Kandl seiner widerspenstigen Frau angedeihen ließ, sollten weitere Ursachen gewesen sein.  
Auskhoiden hob i´s nimma”, schluchzte die Theresia im Vernehmungszimmer, als Gerichtskommissär Seißer nach unzähligen Verhören endlich ans Ziel gekommen war. Immer wieder habe er sie geschlagen, beteuerte die Theres, oft war er betrunken und bösartig. Da fasste sie im Winter 1808 den Entschluss. Es war der neunzehnte Dezember und der Kandl wie so oft betrunken. Missmutig war er vom Einkaufen heim gekommen, hatte seiner Frau lustlos noch ein paar Schläge angedroht und sich schließlich schlafen gelegt. Als sie ihn wie gewohnt schnarchen hörte, brachte die vor Wut bebende Therese die Axt aus dem Keller, schlich ins eheliche Schlafgemach, und zertrümmerte ihrem Mann den Schädel. Zugeschlagen habe sie mehrmals, gab die Theresia an, richtig in Rage sei sie gekommen.
Diese “Rage” deckte sich durchaus mit der Leichenbeschau durch den Wundarzt, welcher nicht weniger als zehn teils tödliche, teils mindere Wunden” feststellte. Doch als das Werk vollbracht, der Rausch abgeklungen war, da bekam sie es mit der Angst. Wie den Körper verschwinden lassen, wie alles vertuschen? Tatsächlich hatte der alte Seißer seine Zweifel an der Geschichte, denn die am hohen Markt eingegangene Meldung besagte, “daß in der Piaristengasse an der Mauer beym Tempel eine Mannsperson erschlagen und der Kleydung beraubt worden seye..Im heutigen Wien ist besagte Gasse Teil des achten Wiener Gemeindebezirkes, Theresia aber wohnte am Hungelgrund Nummer 9, zum Salzküffel. Solch klingende Adressen existieren in Wien heute kaum noch, allerdings lässt sich feststellen, dass Familie Kandl in Matzleinsdorf gelebt hat, einige Kilometer vom Fundort der Leiche entfernt.


Wer also hat dir geholfen, Theres”, fragte der Kommissär forsch. Die Kandlin aber schwieg eisern. Dass man überhaupt auf sie gekommen war, hatte sie dem Bäckermeister Josef Werner aus Heiligenstadt zu verdanken, der zwar nicht unmittelbar mit den Eheleuten bekannt war, doch geschäftliche Kontakte zum Kaufmann Kandl unterhielt, und von der Therese nichts Gutes zu berichten wusste. So habe er auf dem Gang noch vor der Einvernahme gehört, dass Theresia gleich nach dem Tod ihres Mannes dessen Pfeife an ihren Bruder verschenkt habe.  Was Seißer und die anderen Magistratspersonen allerdings mehr interessierte, war das Gerücht, die Kandlin würde es mit einem Fleischer aus Mauer halten.
Glaubt man den Protokollen, war Therese Kandl eine überaus attraktive Person: Von schlanker Leibesstatur hat sie ein langliches, sauberes Gesicht, schöne Nase, blaue Augen und blonde, rückwärts in einen Chignon geschlungene Haare.” In einer weitere Passage heißt es: ..trägt am Leibe ein blaulicht mit weißen Tupfen versehenes Korsett, einen rot, mit weißen Tupfen versehenen kotonenen Rock, ein leinenes, geblümtes sowie ein blau - mußlinenes Tüchel um den Hals, weiße Strümpfe und schwarze, lederne Schuhe.”
Das Wesen der Frau wird als sanftmütig beschrieben, stets um Contenance bemüht - zumindest solange bis der Name Michel Pellmann fiel.
Was war mit dem Fleischhauer”, fragte Seißer, der mittlerweile Recherchen hatte anstellen lassen .
Therese, die bisher als Duldnerin aufgetreten war und des Schicksals schwere Schläge tapfer zu ertragen schien, wurde unruhig. Zweifellos hatte der Kommissär die Veränderung an Theresia bemerkt, und beschloss, die Katze aus dem Sack zu lassen:
Das Kind ist doch vom Pellmann”, sagte er. “Gib zu deine Schand!”
Laut den Gerichtsakten begann die Kandlin zu toben und verhielt sich ihrem Gegenüber dermaßen respektlos, dass sie von einem Polizeidiener gewaltsam entfernt werden musste. Theresia verbrachte ihre erste Nacht im Gefängnis, am nächsten Tag wurde das Verhör fortgesetzt. Tatsächlich hatte die junge Frau noch vor der Hochzeit mit dem alten Kandl ein uneheliches Kind zur Welt gebracht, dessen Vater nicht eruiert werden konnte. Das Kind verstarb bereits Wochen nach der Geburt, die Schande aber blieb an Theresia haften. Eine Hochzeit sollte die Gefallene wieder rein waschen. In den kommenden Verhören belastete Therese den Michel schwer, er habe die Tat geplant und ausgeführt, sie sei nur Mitwisserin gewesen. Ihn zu befragen gestaltete sich indes als schwierig, denn Pellmann war zum Militär gegangen und seine Stationierung im Kriegsjahr 1809 nicht leicht auszumachen. Endlich aber konnte er nach seiner Rückkehr in Mauer vernommen werden und ein sicheres Alibi angeben. Mehr, als dass er mit der Resi vor und nach der Eheschließung sündig umgegangen wäre, konnte man ihm nicht nachweisen.
Der Pellmann war´s nicht”, sagte Seißer erbost, “also wer hat dir geholfen?”
Diese Frage blieb ungelöst. Allerdings legte Theresia ein umfangreiches Geständnis ab, konnte genaue Angaben zum Tathergang machen, und im Zuge einer Hausdurchsuchung wurde auch das Tatwerkzeug gefunden, welches noch heute im Kriminalmuseum bestaunt werden kann. Mehr als ein paar Blutspritzer im Schlafzimmer und ein blutverschmierter Anzug waren von dem Ehegatten nicht geblieben.
Das Skelett der Theresia Kandl
Den hatte die Therese übrigens in einer stürmischen Winternacht quer durch Wien geschleppt, in einer großen Butte, die sie auf dem Rücken trug. Ein klein wenig Ironie mag jene gruselige Nacht in Form eines freundlichen Polizisten erhellt haben, der durch Zufall Theresias Weg kreuzte, und bemerkte, an welch schwerer Last die schöne Wienerin trug.  Höflich machte er der jungen Frau seine Aufwartung, und rückte die Butte auf ihrem Rücken wieder zurecht, ohne einen Blick hineingetan zu haben.
In der Piaristengasse aber war Schluss. Einen gut durchdachten Plan zur Beseitigung der sterblichen Überreste hatte die erschöpfte Theresia ohnehin niemals verfolgt, sie ließ den alten Kandl hinter einer Hausecke schlicht in den Schnee gleiten, vergewisserte sich, unentdeckt geblieben zu sein, und eilte rasch davon.


Die Theresia Kandl soll wegen Meuchelmordes nach Vorschrift des Paragraph 119 des Gesetzes über Verbrechen mit dem Tode bestraft und diese Strafe gemäß des Paragraphen 10 ebensaselbst an ihr mit dem Strange vollzogen werden.”


Am 3. März 1809 wurde das Urteil vom Appellationsgericht bestätigt. Dem Tode zuvor kam aber noch die Schande. Am 13 März stand Theresia am Pranger, wurde am Hohen Markt ausgestellt, bespuckt, beschimpft, begafft. Man gab sie dem Mob preis.
Gantz Wien war auf den Beynen”, notiert Anton Ferdinand von Geusau in seinem “Historischen Tagebuche” von 1809: Da man in Wien noch keine Weibsperson hatte hängen sehen, war der Zulauf des Volkes unbeschreiblich!”.


Zum Ablauf der Exekution existieren mehrere Beschreibungen. Als gesichert kann gelten, dass die Hinrichtung unter ungewöhnlich großen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt wurde. Dreihundertzweiunddreißig Mann Kavallerie und Infanterie wurden am 16. März aufgeboten um für Ordnung zu sorgen, bei der berüchtigten “Spinnerin am Kreuz”. Schon in den frühen Morgenstunden war der offene Malefiz - Wagen am Hohen Markt abgefahren, rumpelte durch die engen Gassen der Stadt, ließ Häuser und Plätze endlich hinter sich, um gegen 10 Uhr sein  Ziel zu erreichen. Gespannt wartete man auf die schöne Mörderin mit den “kaiserblauen” Augen, und dem langen, blonden Haar. Schreckensbleich soll sie laut Protokoll gewesen sein, aber aufrecht und gefasst. Bevor der “Freymann” ihr die Schlinge um den zarten Hals legte, soll sie sich noch einmal umgesehen haben. Letzte Worte gab es keine. Einem Gerücht zufolge, welches die vom Tod seit jeher faszinierten Wiener dankbar aufgriffen, habe sich der Pellmann Michel unter den Wachsoldaten befunden, die der Hinrichtung beiwohnten. Ihn habe sie gesucht, wurde noch Jahre später erzählt, selbst als die Schlinge sich schon zuzog, wanderten die kaiserblauen Augen rastlos über die Menge. Tatsächlich lässt sich die Anwesenheit oder auch nur der  Aufenthaltsort Pellmanns nicht eruieren. Wahrscheinlicher ist wohl, dass Theresia ihrem Schicksal alleine gegenüber trat.

Eine andere Version der Vorgänge rund um die  “Spinnerin” zollt der Delinquentin weit weniger Respekt. Chaotisch und schamlos soll es zugegangen sein, Theresia selbst habe die Stimmung auf dem Weg zum Galgen mit Ausrufen wie:  “Jessas, mei Haub´n “ und “Sö, mein Schuach verlier´ i! Hörn´S net?” noch zusätzlich angeheizt, und dem johlenden Publikum so einen unvergesslichen Tag beschert.
Bis sechs Uhr abends hatte sie zu hängen, erst bei Einbruch der Dunkelheit durfte man sie von rechts wegen abnehmen und am “Selbstmörderfleck” ehrlos begraben. Es ist davon auszugehen, dass das Fest der Schaulustigen am Richtplatz sehr viel länger gedauert hat.
Das Wiener Kriminalmuseum
Einen letzten Gruß gab man der von Unglück geriebenen Familie Kandl mit auf den Weg in die Ewigkeit. In Atzgersdorf wurde an der Ecke Breitenfurterstrasse/Hödlgasse die Kandlkapelle errichtet. Heute befindet sich das schmucke Bauwerk mit dreieckigen Grundriss auf der Höhe des Campingplatzes Wien Süd (gegenüber Breitenfurterstrasse 198) und steht unter Denkmalschutz.
Ruhe wurde der schönsten Mörderin Wiens  dennoch nicht gegönnt. Schon bald grub man Theresia heimlich wieder aus, und verkaufte die sterblichen Überreste an einen Arzt, der ihr Skelett konservierte. Damals wie heute gegen das Gesetz, in Zeiten der Phrenologie jedoch nicht ungewöhnlich. Bemerkenswert erscheint vielmehr, dass das Präparat bis ins Jahr 1924 in der Familie des Arztes nachweisbar ist. Schließlich fand der Kasten seinen Weg in das Wiener Kriminalmuseum. Dort teilte sich Theresia die Aufmerksamkeit der Besucher mit dem Schädel jener Frau, die beinah ein Jahrhundert später als nächste weibliche Gewalttäterin exekutiert werden sollte: Juliana Hummel, der schweren Misshandlung und des Mordes an ihrer eigenen Tochter Anna für schuldig befunden. Selbst der sonst so milde Kaiser Franz Joseph verzichtete in diesem speziellen Fall auf eine Umwandlung der Todesstrafe in Haft. Juliana Hummel beendete ihr Leben allerdings hinter Gefängnismauern. Die Zeiten öffentliche Hinrichtungen waren vorbei.

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